Handlöten mit bleifreien Loten (2002/95/EG)

Handlöten – Nach der EU-Richtlinie 2002/95/EG (Elektroaltgerätegesetz) darf die Mehrheit der industriellen Elektronikfertiger keine bleihaltigen Lote mehr einsetzen. Im Jahr 2006 wurde dieses Gesetz eingeführt und es müssen neu bleifreie Lote verwendet werden. Von bleifrei spricht man, wenn nicht mehr als 0.1% Blei enthalten ist. 2013 wurde diese Richtlinie von der 2011/65/EU abgelöst, gross verändert hat sich jedoch nichts. Im Jahr 2018 wurde Blei im europäischen Chemikaliengesetz auf die Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe aufgenommen. Dies hatte eine Änderung der Kennzeichnungspflicht für alle bleihaltigen Lotprodukte mit mehr als 0.3% Blei zur Folge.

Man kann durchaus behaupten, dass die Umstellung von bleihaltigen zu bleifreien Loten in der Industrie gut funktioniert hat. Auch wenn einige Anpassungen in den Prozessen und Materialien vorgenommen werden mussten.

Was ist der Unterschied?

Bleihaltige Legierungen, wie z.B. Sn63Pb37 (63% Zinn und 37% Blei) haben einen Schmelzpunkt von 183°C. Legierungen mit Kupfer/Silberzusatz haben einen Schmelzpunkt von 179-190°C. Das war früher der jahrelange Standard. Diese Lote konnten mit einer Lötspitzentemperatur von 300-320°C gut verarbeitet werden. Bleifreie Legierungen haben in den meisten Fällen einen höheren Anteil an Zinn. Nicht mehr 63% sondern zwischen 95-99%. Folglich steigt der Schmelzpunkt der Legierung auf 217-227°C. Mehr Zinn im Lot in Verbindung mit einer höheren Löttemperatur bedeutet aber, dass man auf seine Werkzeuge und Bauteilmetallisierungen etwas mehr aufpassen muss. Das Lot löst Kupferoberflächen nicht nur schneller an, sondern auch schneller auf. Ehe man sich versieht, ist das Lötauge der Leiterplatte aufgelöst. Falls man die niedrigste Löttemperatur von 217°C anstrebt, muss man die Legierung Sn95,5%, Ag3,8% Cu0,7% (95.5% Zinn, 3.8% Silber und 0.7% Kupfer) verwenden. Der Vorteil ist der relativ niedrige Schmelzpunkt, der Nachteil sind die knapp 4% Silber im Lot, die den Preis des Lötdrahtes nahezu verdoppeln können. Grundsätzlich kann man diese silberhaltige Legierung etwas günstiger gestalten, indem der Silberanteil auf 3% reduziert wird. Dadurch erreicht man einen Schmelzbereich von 217-223°C. Möchte man die günstigste Zusammensetzung einsetzen, kann man eine Zinn/Kupfer Legierung verarbeiten. Hier ist der Schmelzpunkt bei 227°C definiert. Bei dieser, wie auch bei den anderen Legierungen, muss die Temperatur an der Lötspitze nicht zwingend gleichermassen erhöht werden, jedoch gilt die Faustregel:

Liquidus (Verflüssigungspunkt) der Legierung + 120°C = Arbeitstemperatur an der Lötspitze

Handlöten

Somit ergibt sich bei einer bleifreien Legierung (Sn99,3 Cu0,7) eine Lötspitzentemperatur von 350°C und bei einer bleihaltigen Zusammensetzung eine 310°C Lötspitzentemperatur als Grundwert. Temperaturen oberhalb von 380°C schaden aber in der Regel den Leiterplatten und Bauteilen eher, als dass sie helfen. Auch verbrennt das Flussmittel im Draht wesentlich schneller, so dass es seine Aufgabe bei einer bestimmten Temperatur nur eine bestimmte Zeit erfüllen kann. Jede Temperaturerhöhung um 10°C halbiert die aktive Dauer des Flussmittels. Die Zeit, die es zur Entfernung der Oxide benötigt, wird kürzer – irgendwann ist sie zu kurz. Letztlich geht es nicht um absolute Temperaturen, die notwendig sind. Es geht beim Weichlöten immer um den Eintrag einer notwendigen Energiemenge und das Erreichen bestimmter Mindesttemperaturen. Das Lot muss flüssig sein, es muss eine bestimmte Temperatur oberhalb des Liquidus haben, um das Anlösen der Metallisierungen zu ermöglichen und damit die intermetallischen Phasen und damit eine belastbare Lötstelle zu bilden.

Welchen Einfluss hat die Zusammensetzung eines Drahtes auf die Beständigkeit der Lotstelle?

Flussmittel EF250 stannol

Wenn es um Handlöten Anwendungen mit hohen Temperaturschwankungen und mit dauernder mechanischer Belastung (Vibration) geht, kann man ganz grob die silberhaltigen Lote als besser geeignet einstufen. Als Beispiel kann hier der Einsatz im Auto genannt werden. Die silberarmen oder -freien Lote kommen oft, aber nicht nur, in Consumer-Elektronik zum Einsatz. Keine allzu grossen Temperaturhübe, geringere mechanische Dauerbelastung. Das sind die Bereiche, wo man auf Silber durchaus verzichten kann. Daneben haben Faktoren wie die Menge an Lot, das Layout der Lötgeometrie und die verwendete Metallisierung an Bauteil und Leiterplatte ebenso einen wesentlichen Einfluss zur Bewertung einer Langzeitzuverlässigkeit einer Lötstelle.

Eine weitere Entwicklung sind die mikrolegierten Lote. Diese beruhen auf den oben genannten Zinn-Kupfer oder Zinn-Silber-Kupfer Basisloten, es werden aber um die 500 ppm an kontrollierten Mikrobestandteilen zugegeben. Das sind oft Nickel, Kobalt oder auch andere Metalle und Halbmetalle. Diese reduzieren die Ablegiereigenschaften und erzeugen eine Verfeinerung der Mikrostruktur in der Lötstelle. Was bedeutet eine Verfeinerung der Mikrostruktur? Feinere Korngrenzen im Lot lassen die Lötstelle deutlich mehr mechanische Energie aufnehmen, bevor diese in Thermoschockwechseltests mechanisch zerstört wird – die Langzeitzuverlässigkeit wird besser. Ebenso haben die Lötspitzen wieder längere Lebensdauer, da die benetzbare Eisenschicht an der Spitze wesentlich langsamer aufgelöst wird. Auch wird Kupfer wesentlich langsamer im Lot aufgelöst, das Lötauge auf der Leiterplatte bleibt länger erhalten und der Reparaturprozess kann zuverlässiger erfolgen. Eine bekannte Lotserie sind die Lote der FLOWTIN-Serie. Längere Lebensdauer der Lötspitzen im Vergleich zu Standardloten von 30 – 50% sind bei sorgsamem Umgang mit Lötparametern und Werkzeug zu erreichen.

Das Flussmittel ist ein weiterer Bestandteil eines Lötdrahtes für den Handlötprozess. Die Aufgabe des Flussmittels ist es, die Oxide auf den beteiligten Komponenten zu entfernen: Bauteil, Leiterplatte und natürlich auch flüssigem Lot. Das soll es so lange wie möglich machen, um ein grosses Prozessfenster beim Handlöten zu haben. Je nach Oxidart und -menge auf dem Lötgut, muss die Aktivität angepasst werden. Es gibt halogenfreie Flussmittel, ebenso wie die etwas stärkeren halogenhaltigen Flussmittel. Beide Gruppen entfernen die Oxide mittels einer Säure-Metalloxid-Reaktion. Allerdings müssen die Flussmittel für die bleifreien Lote diesen Reaktionsmechanismus bei höherer Temperatur durchführen und damit auch bei höherer Löttemperatur länger aktiv sein. Das Flussmittel muss in ausreichender Menge vor dem Lot fliessen können, die Oxide entfernen, die entstandenen Salze vor dem Lot abtransportieren und dem flüssigen Lot eine schön saubere, reine Metalloberfläche hinterlassen. Dann kann der Diffusionsprozess stattfinden, die Lötstelle ist gebildet. Bei den erhöhten Löttemperaturen muss auch das Flussmittel angepasst werden, damit das Spritzen des Flussmittels und die Benetzung optimiert wird. Hier kommen die beiden unterschiedlich aktivierten Flussmittel Kristall 611 und 600 ins Spiel. Diese wurden in Kombination mit den bleifreien und mikrolegierten Loten entwickelt und können so ihr gesamtes Potential auf unterschiedlich stark oxidierten Oberflächen ausschöpfen. Grundsätzlich gilt bei der Flussmittelauswahl auch, immer das schwächere zu verwenden. Was als Aktivatoren und deren Reaktionsprodukte im Rückstand nicht auf der Baugruppe verbleibt, kann keine Probleme bei der Langzeitzuverlässigkeit verursachen. Immer nur so stark und so viel, wie man benötigt um eine gute Benetzungsreaktion zu erreichen.

Als weiterer Vorteil kommt bei diesen Lotdrähten dazu, dass sie nur mit Zinn aus dem Fairtin-Programm von Stannol gefertigt werden. Hier spielt nicht nur die Qualität der Rohstoffe eine Rolle, sondern auch weitere Faktoren wie die Arbeitsbedingungen beim Abbau des Zinns, angewendete Umweltstandards und vieles mehr.

Der Arbeitsprozess mit bleifreiem Lot

Für eine bleifreie Lötstelle braucht man im Vergleich zur bleihaltigen unter gleichen Rahmenbedingungen einen Mehraufwand an Energie. Dies gilt für alle Lötverfahren, unabhängig davon, ob man Lötdraht oder Lotpaste einsetzt.

Da die benötigte Energiemenge höher ist, muss auch die Wärmeübertragung auf die Lötstelle als wichtigster Aspekt beim Handlöten betrachtet werden. Hier kommt es darauf an, für den Wärmeübergang eine optimale Kontaktfläche zu erzeugen. Optimal heisst in diesem Zusammenhang so gross wie möglich. Das ist recht einfach zu bewerkstelligen: Einfach die Lötspitze mit der grössten Kontaktfläche verwenden und nicht die dünne Nadelspitze den ganzen Tag montiert lassen. Jede Lötaufgabe hat daher eine optimale Lötspitze. Diese stellt durch eine grössere Übergangsfläche in gleicher Zeit eine höhere Energiemenge bereit, so dass man den höheren Energiebedarf für das Aufschmelzen des bleifreien Lotes nicht durch eine Erhöhung der Arbeitstemperatur kompensieren muss. Das würde wieder zu schnellerem Verschleiss der Lötspitze führen. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Temperaturerhöhung von 360°C auf 410°C den Lötspitzenverschleiss bei Verwendung bleifreier Legierungen nahezu exponentiell erhöht. Die Lebensdauer der Lötspitze halbiert sich nicht nur, sie wird wesentlich stärker verkürzt. Man sollte also für die Lötstelle generell eine geringfügig längere Löt-, bzw. Kontaktzeit berücksichtigen, um die Arbeitstemperatur nicht unnötig erhöhen zu müssen.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Auswahl des richtigen Werkzeuges. Die Wärmeübertragungs-technologie spielt eine wesentliche Rolle. Schnelle Reaktionszeiten des Lötkolbens auf erhöhten Wärmebedarf ist ein grundlegender Faktor, um die Arbeitstemperatur auf einem möglichst niedrigen Wert zu halten. Aktive Lötspitzentechnologien, bei denen die Lötspitze eine „Einheit“ aus Heizelement, Sensor und benetzbarem Bereich bildet, haben eine sehr schnelle Aufheizzeit (ca. 3 Sekunden) und können entsprechend schnell nachregeln. Dieser Vorteil der direkt beheizten Spitzen geht aber einher mit einem wesentlich höheren Preis. Durch die schnelle Aufheizzeit jedoch können diese Lötspitzen wiederum schneller automatisch in die Standby-Temperatur gehen, was den Verschleiss und den Stromverbrauch senkt.

Passive Lötspitzentechnologien trennen die Regelelektronik im Lötkolben (Heizelement / Sensor) von der Lötspitze, die dann als Verschleissteil ausgetauscht werden kann – und günstiger ist. Um die passive Technologie vom Wirkungsgrad optimal ausnutzen zu können, ist eine gute Kontaktfläche von Lötspitze zum Lötkolben wichtig und ein leistungsstarkes Lötwerkzeug mit mindestens 80 W oder mehr unumgänglich.



Das Aussehen bleifreier Lötstellen unterscheidet sich ein wenig von bleihaltigen Lötstellen. Galt bei bleihaltigen Lötstellen noch die „3G-Regel“ (gleichmässig, glatt und glänzend), gelten diese Kriterien nur eingeschränkt für bleifreie Lötstellen. Das wichtigste Kriterium für eine bleifreie Lötstelle ist der sauber ausgebildete „Meniskus“. Dieser sichtbare Benetzungswinkel ist an der Oberfläche der Lötstelle zu sehen. Da die Zusammensetzung der bleifreien, silberhaltigen Legierungen dazu führt, dass die Oberflächen rauer sind, kann sie auch nicht so schön glänzen und die “3G“-Regel nicht wirklich erfüllen. Aber auch hier gibt es silberfreie Lote mit Mikrolegierungsbestandteilen, die mit einem SnCu-Basislot eine glänzende Lötstelle erzeugen können. Flowtin TC oder SN100c sind hier als Beispiele genannt.

Fazit Handlöten

Bleifreies Handlöten ist nicht schwierig – es ist nur anders als das Handlöten mit bleihaltigen Loten.

Die Qualitätskriterien ändern sich und die zu verwendenden Lötwerkzeuge müssen ggf. angepasst werden. Aber die elektrische Sicherheit einer bleifreien Lötstelle steht einer bleihaltigen Lötstelle in nichts nach! Wenn man sich mit dem veränderten Ausbreitungs- und Benetzungsverhalten einer bleifreien Legierung vertraut gemacht hat und eine minimal längere Lötzeit akzeptiert, um die Temperatur nicht unnötig zu erhöhen, wird man schnell feststellen, dass das Handlöten eigentlich unverändert ist.

Quelle: STANNOL GMBH & Co. KG

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